Wie wir wurden, was wir sind

Wenn wir heute unser Welfen-Gymnasium betrachten, eines von drei öffentlichen Gymnasien in der Stadt, die auf einem Campus nebeneinander liegen und auf vielfältigste Weise miteinander kooperieren, sollten wir uns seinen besonderen Ursprung in Erinnerung rufen. Das Welfen-Gymnasium gibt es heute, weil Ravensburger Bürgern die Bildung ihrer Töchter wichtig war. Seit nunmehr 40 Jahren werden Mädchen und Jungen gleichermaßen am Welfen unterrichtet, zuvor war die Schule 85 Jahre lang, seit ihrer Gründung 1887 eine (fast) reine Mädchenschule. Auch Gymnasium ist die Schule keineswegs schon seit 125 Jahren, sondern das erste Abitur wurde 1944 abgelegt, den offiziellen Titel Gymnasium (statt "Oberschule") trägt die Schule seit 1954.

Welfen Gymnasium

Private Schulgründung in der Marktstraße und Neubau des „Affenkastens“

Die Existenz der Schule verdankt sich zunächst einmal dem privaten Engagement führender liberaler Bürger Ravensburgs, die ihren Töchtern eine höhere Bildung ermöglichen wollten. Keine berufs- oder studienqualifizierende Bildung, sondern nach den Vorstellungen der Zeit, eine, die sie zu kompetenten und tüchtigen Gattinnen und Müttern bilden sollte: Deutsch und Literatur, Rechnen und auch Buchführung, Englisch und Französisch, Welt- und Kunstgeschichte, Physik und Chemie, Schönschreiben, Zeichnen, Singen, Turnen und Handarbeiten und natürlich auch Religion, waren die Fächer, die die Mädchen zwischen 7 und 16 Jahren von der ersten bis zur 9. Klasse lernen sollten.

Warum eine private Schule mit dem Elternrat als Schulträger? Der Gemeinderat der Stadt sah keine Notwendigkeit für eine Lehranstalt für höhere Mädchenbildung, obwohl im 19. Jahrhundert vielerorts in Württemberg bereits solche Schulen gegründet worden waren. Es gab in Ravensburg natürlich Elementarschulen für Mädchen und auch das damals konfessionell exklusive katholische "Klösterle", das, so fand der Gemeinderat, sollte reichen. Auch das Land, das Königreich Württemberg, hatte die höheren Mädchenschulen zwar unter seine Aufsicht genommen und förderte sie auch, die Gründung jedoch war privatem oder kommunalem Engagement überlassen.Die Väter von 25 Mädchen, allesamt aus den höheren Schichten der Gesellschaft, Kaufleute und Fabrikanten, Vertreter der freien Berufe, höhere Beamte und Offiziere, fanden sich unter der Leitung des Rechtsanwaltes Eugen Mezler 1887 zusammen um dem Mangel Abhilfe zu schaffen. Konfessionsübergreifend war diese Gruppe engagierter Bürger, auch das gehörte in der gemischtkonfessionellen Stadt zum fortschrittlichen Selbstbild dieser Gruppe. Finanziell und organisatorisch war die Schulgründung kein einfaches Unterfangen, zunächst unterrichteten ein Lehrer, Hauptlehrer Thumm, gleichzeitig Schulvorstand und eine Lehrerin, Emma Schuler, fast alle Fächer, bis Fachlehrer nebenamtlich aus anderen Schulen in Ravensburg gewonnen werden konnten.

Der „Affenkasten“

Im Obergeschoss der Marktstr. 20 in der Ravensburger Oberstadt hatte die Schule ihren ersten Sitz für die ersten 25 Schülerinnen, die von 40-100 Mark Schulgeld im Jahr zahlen mussten. 100 Mark, das war in etwa das Monatseinkommen einer Arbeiterfamilie. Um in den Genuss staatlicher Förderung zu gelangen, musste die Schule sich auch den Anforderungen der staatlichen Schulaufsicht an höhere Mädchenschulen gewachsen zeigen, was ihr auch gelang. Trotz stetiger finanzieller Schwierigkeiten, trotz fehlender Unterstützung durch die Kommune und trotz der Anfeindungen beider Kirchen, die die Simultanschule als "religionslos" attackierten, gelang es der Schule, sich in Ravensburg zu etablieren: Die Zahl der Schülerinnen stieg in den ersten 10 Jahren auf über 100 an und schon 1889 konnte der - von der Elternschaft finanzierte -Neubau in der Kapuzinerstraße, der sogenannte "Affenkasten" (heute Stadtarchiv), bezogen werden, das allerdings nicht nur von Schülerinnen, vielmehr nahm die Schule bis zur Kommunalisierung 1922 aus finanziellen Gründen auch Knaben in die Elementarschulklassen auf.

Mit der Umwandlung zur "Realschule" 1903 eröffnete sich den Mädchen in Ravensburg auch - mit der Prüfung zur "mittleren Reife" - erstmals der Weg zum Abitur, da sie mit diesem Zeugnis an ein Realgymnasium für Knaben übergehen konnten, um dort die Hochschulreife zu erlangen. Ein 10. Schuljahr musste eingeführt, die Lehrpläne an die der Realschule für Knaben angepasst werden, was eine stärkere Betonung der Naturwissenschaften zulasten der Sprachen bedeutete.

In der wirtschaftlich schwierigen Zeit nach dem 1. Weltkrieg stieg die Zahl der Schülerinnen und Schüler zwar auf 280, die Elternschaft aber war an die Grenze ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit geraten (Schulgeldeinnahmen von 30.000 Mark standen Ausgaben von 135.000 gegenüber). Dazu kam, dass 1920 die 4-jährige Grundschule im Land verbindlich eingeführt wurde, was bedeutete, dass die Elementarklassen der Schule aufgelöst werden mussten. Der Elternrat zog daraus die Konsequenz und stellte an den Gemeinderat den Antrag, die Schule in die Trägerschaft der Gemeinde zu überführen, zu kommunalisieren. Nach langen Verhandlungen willigte die Stadt ein und am 1. Mai 1921 übernahm die Stadt die Trägerschaft der Mädchenrealschule.   

Städtische Schule im Spohn-Gebäude und Oberschule für Mädchen im Dritten Reich

Da das Haus in der Kapuzinerstraße, auch "Affenkasten" genannt, nun endgültig zu klein geworden war, zog die Schule 1921 mit zunächst drei Klassen und 1924 schließlich vollständig als Gast bei den Knaben ins Spohn-Gebäude um. Aber nach dem explosiven Anstieg der Schülerinnenzahl bis in das Jahr 1920 ging diese in den Folgejahren stetig zurück. Grund hierfür war die Einführung der vierjährigen Grundschulen (1920), welche eine sukzessive Auflösung der Elementarklassen (Grundschulklassen) der Mädchenschule zur Folge hatte. Zudem ging eine verstärkt einsetzende Werbung der katholischen Geistlichkeit der Stadt für den Besuch der katholischen Privatschule "Klösterle" zu Lasten der Mädchenrealschule. Die städtische Mädchenrealschule, die seit April 1928 von Dr. Benedikt Bentele geleitet wurde, stand in diesen Jahren unter enormen finanziellen Druck und musste der Auflösung mangels Schülerinnen entgegensehen.

Mit dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft 1933 veränderte sich die politische Gesamtszene dramatisch. Als totalitäre Herrschaftsform und alle Lebensbereiche beanspruchende Ideologie drang der Nationalsozialismus auch in den schulischen Bereich ein. Ein übergeordneter Gesichtspunkt und wichtige Aufgabe war hier die Schaffung eines Einheitsschulsystems. Was man wollte, war die Deutsche Oberschule für Jungen und die Oberschule für Mädchen, wobei strikte Trennung von Jungen und Mädchenerziehung zu einem entscheidenden Prinzip erhoben wurde. Denn wo der Leitsatz galt, die Frau finde ihre Verwirklichung im Haus und als Mutter, da musste schon die Mädchenbildung grundlegend anders geartet sein als die der Jungen. Die praktischen Konsequenzen wurden in Ravensburg teilweise zunächst relativ spät gezogen. So besuchten die Mädchen bis 1942 die Oberklassen der Oberschule für Jungen, um zum Abitur zu gelangen. Ein den Nationalsozialismus prägender nationaler Akzent in der Erziehungsarbeit wurde in der Mädchenrealschule Ravensburg unter der Leitung von Dr. Bentele schon früh umgesetzt.

In das Jahr 1937 fällt ein Geschehen, das einer schmerzlichen Tragik nicht entbehrt: Als staatspolitische Maßnahme wurde die Schließung des "Klösterle", die als Privatschule konfessionellen Charakters keinen Platz im nationalsozialistischen System hatte, vorgenommen. Der Untergang des Konkurrenten bedeutete aber für die staatliche Mädchenschule die sichere und endgültige Rettung. Die Nöte der Mädchenschule verkehrten sich von da an sogar in Gegenteil: Der Übertritt der "Klösterle-Schülerinnen" bewirkte unmittelbar das Anwachsen der Schülerinnenzahl von 120 auf  einen organisatorisch und räumlich nicht leicht zu bewältigenden hohen Stand von 250 Schülerinnen.

Mit dem Schuljahr 1938/39 bekam der nationalsozialistische Einheitslehrplan "Erziehung und Unterricht" an allen Schulen des Reiches Gültigkeit. In dessen Folge wurde die Mädchenrealschule   in "Oberschule für Mädchen" umbenannt. Die Realschulzeit von sechs Jahren wurde auf fünf Jahre verkürzt, wobei anstelle der sechsten Klasse eine einjährige Frauenschulklasse angeschlossen wurde.

Da der neue Lehrplan aus ideologischen Gründen eine strikte Trennung von Jungen- und Mädchenschulen vorsah, forderte Dr. Bentele schon 1938 den Ausbau der Schule zu einer Vollanstalt, d.h. zu einer Schule, die mit Abitur abgeschlossen werden kann. Geldmittel hierfür genehmigte die Stadt nach vier Jahren. Im Jahr 1942 begann der Ausbau der Oberstufe in der hauswirtschaftlichen Form. Erstmals verließen im Februar 1944 14 Schülerinnen die Schule nach Ablegen der Reifeprüfung. Diesem Ereignis konnte durch die außerordentlich erschwerte Situation in der letzten Kriegsphase keine große Aufmerksamkeit zuteil werden und der Weg der Abiturientinnen führte zum Reichsarbeitsdienst oder zu anderen Kriegsdiensteinsätzen. Insgesamt war die Schule in den Kriegsjahren kaum mehr zur Erfüllung ihrer Aufgaben in der Lage. Die Schülerinnen und auch deren Lehrkräfte waren in immer stärker werdendem Maße von außerschulischen Diensten in Anspruch genommen. Hierzu zählen Einsätze und besondere Aufgaben in der Hitlerjugend, bei den Mädchen BdM und JM.  Immer umfangreicher und häufiger wurden die Aktivitäten der Jugend- und der NSDAP- Hilfsorganisationen in den Kriegsjahren, da durch den Einsatz der Schuljugend sowohl aufkommende Not gelindert, als auch die Kriegswirtschaft unterstützt werden musste. Sammlungen verschiedenster Art, ob Spenden oder Materialsammlungen, auch Arbeitseinsätze in der Landwirtschaft, außerdem politische Schulung in Württemberg, als auch nationalpolitische Lehrgänge für ältere Schüler und Schülerinnen, die seit 1937 verbindlich waren, all dies beeinträchtigte den Unterricht der Schule ganz erheblich. In den härteren Kriegswintern dezimierten "Kohleferien" den Schulbetrieb, und die beiden letzten Kriegsjahre ließen durch verstärkte Luftschutzmaßnahmen bei Luftschutzwarnungen kaum mehr geordneten Unterricht zu, erst recht dann nicht mehr, als das Spohn-Gebäude in den letzten Kriegswochen als Lazarett diente und die Klassen auf verschiedene Häuser im Stadtrandgebiet verteilt wurden. Kurz vor dem Einrücken der französischen Truppen im April 1945 brach der Schulunterricht überall vollends zusammen.  In diesem Jahr verließen die Mädchen die Schule nur mit einem Reifevermerk ohne Prüfung.

Mädchen-Gymnasium im Spohn-Schlößle

In Dezember 1945 wurde der Schulbetrieb an der "Oberschule für Mädchen", der seit April geruht hatte, wieder aufgenommen: Am selben Ort: Obergeschoß des Spohn-Gebäudes, mit denselben Personen - nur Schulleiter Dr. Bentele war aus Altersgründen ausgeschieden - und nach demselben Lehrplan (Abitur mit hauswirtschaftlicher Oberstufe). Als Schulleiterin fungierte, die aus dem Kreis des Kollegiums stammende Studiendirektorin Dr. Lotte Paret.

Ein gewisser Umbruch dauerte bis 1949: Austausch alter durch neue Lehrkräfte, Wiedereinführung der neunjährigen Schuldauer, Umstellung des Lehrplans.

Eine ganz besondere Zäsur bedeutete sicher der Amtsantritt des neuen Schulleiters Oberstudiendirektors Dr. Franz Christ zum 1. März 1949, der die nächsten drei Jahrzehnte das Schulleben prägen sollte. Unter seiner Leitung verwandelte sich die Schule in mehrerlei Hinsicht grundlegend. Aufgrund der ständig zunehmenden Raumnot konnte zusätzlich zum Obergeschoss des Spohngebäudes seit 1954 auch das nun von der Stadt erworbene Spohn-Schlössle (für Oberstufe, Rektorat und Sekretariat) genutzt werden. Seit Februar 1954 hieß die Schule nun "Mädchen-Gymnasium Ravensburg".

Bau des heutigen Welfen-Gymnasiums

Zum Schuljahr 1968/69 wurde schließlich der architektonisch herausragende Schul-Neubau in Stahlbetonbauweise eingeweiht und bezogen. Er ist architektonisch geprägt durch das Zusammenwirken von Holz, Beton und Glas. Er besticht durch große, helle Klassenzimmer und Fachräume mit ihren großen, durchgehenden Fensterfronten. Auch das Foyer in der Mitte des Schulgebäudes mit dem großen Treppenhaus, in dem alle Flure zusammenlaufen, ist eine architektonische Besonderheit des Hauses: Hier ist der zentrale Treffpunkt der Schülerinnen und Schüler. Darüber hinaus bietet das Foyer für die gesamte Schulgemeinschaft die ideale Voraussetzung für Präsentationen, Ausstellungen und Veranstaltungen jeder Art.

Die seit Dezember 1969 diskutierte Frage der Koedukation (Öffnung auch für Jungen) wurde schließlich vom Gemeinderat so entschieden, dass ab dem Schuljahr 1972/73 sukzessive in die jeweiligen 5. Klassen Jungen aufgenommen werden sollten. Damit endeten 85 Jahre reine Mädchen-Bildung an unserer Schule und es begann die Zeit des "Welfen-Gymnasiums". Dieser Name hatte sich bei einer breiten öffentlichen Diskussion über die notwendige Umbenennung durchgesetzt. Er erinnert an das mittelalterliche Adelsgeschlecht, dem die Stadt Ravensburg ihre Gründung verdankt.

(seit 1958 an der Schule) wurde sein Nachfolger als Schulleiter. Als eine Besonderheit führte das "Welfen-Gymnasium" seit 1981 einen grundständigen Französisch-Zug ab Kl. 5 ein. Im selben Jahr wurde übrigens auch den Jungen des Welfen-Gymnasiums gestattet an den traditionsreichen Gruppen des Trommler-Corps und den Landsknechten mitzuwirken, was letztlich auf eine allgemeine Akzeptanz der veränderten Schulgestalt hinweist.

Wohl im Zusammenhang mit den Vorbereitungen auf das 100-jährige Schuljubiläum 1987 wurde 1986 der "Freundeskreis Welfen-Gymnasium e.V." gegründet, der bis heute auf vielfältige Weise das Schulleben mitträgt.

Außerdem erschien im August 1987, einen Monat vor den zentralen Veranstaltungen des Schuljubiläums, die erste Ausgabe des "Welf", der internen Schulzeitung des Welfen-Gymnasiums - bis heute.

Eugen Mezler ist am 12.April.1849 in Bonlanden bei Stuttgart geboren und starb 1916 in Stuttgart-Degerloch. Er war einer von zwei Söhnen von Georg Mezler und Rosina Hamma. Sein Vater war Volksschullehrer. Eugen legte auf dem katholischen Knabenkonvikt in Rottweil seine Reifeprüfung (Abitur) ab und studierte Rechtswissenschaft. Er und sein Bruder wurden beide Rechtsanwalt, der eine in Ulm, Eugen in Ravensburg. 

Als 21jähriger nahm er im Taumel der allgemeinen nationalen Begeisterung am Krieg gegen die Franzosen 1870/71 teil. 1874 heiratete er Elise Krauss. Ein Jahr später bekam sie eine Tochter, Elisabeth Mezler. Nach dieser Geburt starb seine Frau tragisch im Kindbett. Ab 1877 war Eugen Mezler ein hochangesehener, vermögender  Rechtsanwalt in Ravensburg. Dort wohnte er bis 1910. In Nonnenhorn besaß er noch eine Villa am Bodensee. Später heiratete er, ein Katholik, eine Protestantin und gründete deshalb mit anderen liberalen Bürgern 1887 für sein einziges Kind Elisabeth eine private Mädchenschule, die konfessionsungebunden war: gleichermaßen für Katholiken, Protestanten und Juden. 1894 heiratete seine einzige Tochter den letzten königlichen württembergischen Justizminister Carl Mandry. 1910 verlor Eugen Mezler, infolge einer geleisteten Bürgschaft für einen Freund, sein komplettes Vermögen. Nach diesem schweren Vorfall lebte er völlig zurückgezogen in Stuttgart-Degerloch bei seiner Tochter, der Familie Mandry. Dort starb er 1916, vermutlich an den Folgen eines Schlaganfalls. Begraben wurde er auf dem Stuttgarter Waldfriedhof. Das Grab ist inzwischen aufgehoben – 1962 legte die Schule dem Gründer noch einen Ehrenkranz zum 75jährigen Schuljubiläum auf sein Grab. Auch das Grab von Elisabeth und Carl Mandry und deren jüngsten Sohn Werner ist dort bereits aufgehoben. 

Tabea Heilig Kl. 7

Schulgründer
Marktstraße
Affenkasten
Lehrkräfte und Schülerinnen 1910
Schule
Rohbau
Schlössle
Treppenhaus
Eugen Mezler mit Frau